Schrödingers
Katze zählt zu den am häufigsten missverstandenen physikalischen
Sachverhalten ausserhalb der Physik (also Nichtphysiker betreffend).
Unter
Schrödingers Katze versteht man ein Gedankenexperiment, das zur
Veranschaulichung der Konsequenzen quantenmechanischer Messprozesse
dient.
Zum
"Paradoxon",
und damit zu einem angeblichen philosophischen Problem, wird
Schrödingers Katze nur deshalb, weil üblicherweise gleich zwei Fehler
gleichzeitig gemacht werden:
1. Man gesteht mikroskopische, quantenmechanische
Eigenschaften den makroskopischen Objekten (hier: der Katze) zu. Dies
ist ein Widerspruch zur Quantenmechanik.
2.
Ganz unabhängig von Quantenmechanik widerspricht
es sogar der klassischen Physik, denn grosse physikalische Systeme
sind nicht lediglich Vielfache von kleinen Systemen. Grosse Systeme
verhalten sich nämlich anders als kleine. Am Beispiel der Entropie kann man das sehr gut
sehen.
Das
Gedankenexperiment Schrödingers Katze funktioniert so:
Eine
Katze wird in einen Kasten eingesperrt, dessen Inneres vollkommen von
der Aussenwelt abgeschottet ist.
In
dem Kasten befindet sich ein Zufallsmechanismus, der die Katze nach
einer gewissen Zeit getötet haben wird... oder auch nicht.
Die
einzige Möglichkeit, etwas über den Zustand der Katze zu erfahren (d.h., ist sie tot,
oder lebt sie noch), besteht darin, den Kasten zu öffnen und nachzusehen.
Klassisch
gesehen ist der Sachverhalt klar:
Die
Katze ist zu jedem Zeitpunkt entweder noch lebendig oder bereits tot,
entweder - oder.
Das Öffnen des Kastens verschafft uns zwar Gewissheit, ändert aber
nichts am Zustand der Katze: Wenn sie noch lebt, dann werden wir sie
beim Öffnen lebendig vorfinden. Ist sie dagegen bereits tot, dann
werden wir sie beim Öffnen tot vorfinden.
Quantenmechanisch sieht der Sachverhalt um Schrödingers Katze allerdings
bedeutend anders aus.
Die
folgenden Formulierungen sind einfach gehalten, dennoch wissenschaftlich weitgehend korrekt
gewählt, und
lassen einen paradoxen Charakter daher nur schwer aufkommen:
In
dem Kasten befindet sich ein quantenmechanisches Objekt, genannt
"Katze". Dieses Objekt wird durch einen mathematischen Ausdruck
<Katze> repräsentiert und hat in dieser Form noch keine
Entsprechung innerhalb unserer angeborenen und erlernten
Begrifflichkeiten. Wir wissen also nicht, was man sich unter dem
Objekt "Katze" überhaupt vorstellen soll.
Das
Objekt "Katze" enthält genau zwei so genannte Eigenzustände,
die wir "tote Katze" und "lebendige Katze" nennen. Jeder Eigenzustand
hat einen so genannten Eigenwert,
der die Wahrscheinlichkeit
dafür repräsentiert, mit der der Zustand <Katze> nach einer
Messung (= "nachsehen") den jeweiligen Eigenzustand annimmt.
In
diesem Beispiel gibt es genau 2 Eigenzustände, "tote Katze" und
"lebendige Katze". Je
nach der Natur des betrachteten quantenmechanischen Systems kann es
theoretisch beliebig viele Eigenzustände mit entsprechend vielen
Eigenwerten geben. Das zu ermittelnde Messergebnis kann nicht beliebig
sein, sondern muss grundsätzlich einem der Eigenzustände entsprechen.
Welcher das sein wird, verteilt sich entsprechend der Eigenwerte, die
ja Eintrittswahrscheinlichkeiten repräsentieren.
Der
Akt der Messung, hier also das Öffnen des Kastens um
nachzusehen, lässt das quantenmechanische Objekt "Katze" entsprechend
der Eigenwerte zufällig in einen der beiden Eigenzustände "tote Katze"
oder "lebendige Katze" springen, und damit zu einem innerhalb unserer
Begrifflichkeiten erfassbaren
Objekt werden.
Wirklich
"paradox" ist an Schrödingers Katze eigentlich gar nichts. Insbesondere
ist es gerade nicht
so, dass der Messprozess über das Schicksal dar Katze entscheidet, denn
vor der Messung befindet sich ja keine lebende oder tote Katze, sondern
ein für uns
unzugängliches quantenmechanisches Objekt "Katze" in dem Kasten.
Es
ist daher auch nicht so, dass bis zum Zeitpunkt des Nachsehens
Schrödingers Katze tot und lebendig zugleich ist, wie oft in populären
Medien behauptet wird.
Allerdings
ist es schon so, dass das Objekt erst durch den Akt der Messung zu
einem für uns erfassbaren Gegenstand wird.
Das
bedeutet aber wiederum nicht,
dass eine quantenmechanische Messung den Lauf der Dinge insofern
beeinflusst, als dass sie das, wonach sie eigentlich fragt,
selbst erst herstellt. Denn erstens ist es objektiv zufällig, also
völlig
offen, und damit nicht beeinflussbar, welchen Eigenzustand das Objekt
annehmen wird, und zweitens liegt es ja schlichtweg an unseren
fehlenden
Begrifflichkeiten: Die Messapparaturen sind ja notgedrungen so
aufgebaut, dass sie diejenigen physikalischen Grössen ausgeben, mit
denen wir etwas anfangen können.
Als
Analogie zu Schrödingers Katze kann man sich einen Würfel vorstellen,
der in einer
halboffenen Hand geschüttelt wird. Die Augenzahlen seiner 6 Seiten sind
die Eigenzustände, deren Wahrscheinlichkeiten jeweils 1/6 betragen. Die
Eigenwerte betragen also alle 1/6. Der Messprozess bestehe darin, die
Augenzahl festzustellen.
Es
ist klar, dass das Messergebnis erst durch den Akt des Würfelns
hergestellt wird. Daran stört sich interessanterweise Niemand.
Zu
guter Letzt muss man sich auch die winzigen Grössenordnungen vor Augen
halten, in denen quantenmechanische Messungen stattfinden.
Der schiere Grössenordnungs-Unterschied zwischen mikroskopischer
Quantenwelt und makroskopischer klassischer Welt führt jegliches
Weiterdenken in Bezug auf "Beeinflussung der Messung durch den
Beobachter" ad Absurdum:
Beispielsweise
käme niemand auf den Gedanken, durch das Aufscheuchen eines
Schmetterlings das Wetter am anderen Ende der Welt (also den Gang der
Dinge) tatsächlich zu beeinflussen, obwohl die Wahrscheinlichkeit dafür
grundsätzlich berechenbar und grösser als Null ist. Es ist
klar, dass dieser Fall niemals eintreten wird. Niemand diskutiert das
ernsthaft.
Anderes
Beispiel:
Niemand
würde es für wahrscheinlich halten, dass sich in einem aufgeblasenen
Luftballon die Gase Stickstoff und Sauerstoff für einen Moment
entmischen, obwohl auch hier die Wahrscheinlichkeit grundsätzlich
berechenbar und grösser als Null ist. Auch hier ist sofort klar, dass
das nie eintreten wird, und auch das diskutiert niemand ernsthaft. Wie
unwahrscheinlich (und damit quasi "absurd") das tatsächlich ist, wird
im Kapitel Entropie
anschaulich
vorgerechnet.
Die
letzten Abschnitte könnten den Eindruck erwecken, grundsätzlich valide
Einwendungen allein mit grossen Zahlen erschlagen zu wollen.
Das
stimmt jedoch nicht, denn der Unterschied mikroskopische Welt -
makroskopische Welt besteht ja gerade in den
Grössenordnungen,
genauer: In den damit verbundenen Wahrscheinlichkeitsverteilungen:
Grosse Systeme sind nicht lediglich Vergrösserungen von kleinen
Systemen, sondern sie sind grundlegend anders; Allein durch die Grösse
ergeben sich neuartige physikalische Einsichten. Man
muss sich nur daran gewöhnen, dass es auch in der klassischen Physik
bzw. makroskopischen Welt "absurde" Dinge gibt, die nicht unmöglich,
sondern
lediglich unwahrscheinlich sind.