Vorteile und Nachteile Betriebliches
Vorschlagswesen
Alles Folgende beruht auf betrieblichen Erfahrungen in
unterschiedlichsten Unternehmenskulturen.
Zusammenfassung
Betriebliche
Verbesserungsvorschlagswesen kann man mit Zeiterfassungssystemen
vergleichen: In gut strukturierten Unternehmen sind beide
überflüssig.
Betriebliche
Verbesserungsvorschlagswesen haben für sich genommen wohl keine
Nachteile. Allerdings lassen sich mit einer entsprechend gestalteten
Unternehmenskultur die mit einem betrieblichen
Verbesserungsvorschlagswesen assoziierten Vorteile um Längen
übertreffen.
Das eigentliche Problem liegt nicht am Vorschlagswesen selbst, sondern
in der betrieblichen Organisation desjeniges Unternehmens, das ein
derartiges System einzuführen plant, oder es bereits betreibt. Ob
dieses System eingeschlafen ist oder lebt, ist dabei nicht so
entscheidend.
Durch betriebliche
Vorschlagswesen erreichte Einsparungen mögen dieses System
vordergründig rechtfertigen, allerdings sind auf diese Weise
angestrebte Einsparungen ein Hinweis auf die grundsätzliche und
fortdauernde Mittelmässigkeit
des betroffenen Unternehmens hinsichtlich
seiner Prozesse und des Umgangs mit personellen Ressourcen.
Aus Sicht der ISO 9001 sowie klassischer Qualitätssichtweise werden betriebliche
Vorschlagswesen als Mittel zur kontinuierlichen
Verbesserung angesehen, allerdings ist der Geist der ISO 9001 in der
Version ISO 9001:2015
inzwischen ein grundsätzlich anderer,
demzufolge derartige Vorschlagswesen mittlerweile als historisch zu betrachten
sind.
Zu beachtende Punkte
Damit die Vorteile eines betrieblichen
Verbesserungsvorschlagswesen tatsächlich zum Tragen kommen, müssen
einige Punkte beachtet werden.
1.
In der ISO 9001 Sprache ausgedrückt muss ein solches System geplant, eingeführt, und aufrecht erhalten werden.
Vereinfacht ausgedrückt hat man hier einen zusätzlichen Prozess, um den
sich ständig jemand kümmern muss. Die Geschäftsleitung muss ihn
zumindest in regelmässigen Abständen bewerten, er muss über die
betrieblichen Kommunikationswege permanent "warm" gehalten werden,
jemand muss die eingereichten Vorschläge sichten, fachlich beurteilen
und die Verbesserung bewerten, und dazu bedarf es vorher festgelegter
Kriterien.
Ausgerechnet althergebrachte detaillierte Arbeitsplatzbeschreibungen,
ebenfalls ein Indiz für Mittelmässigkeit, erweisen sich hier als
hilfreich.
Die harten Grenzen zwischen Arbeitgeber (der alleine entscheidet, was
gut ist) und Arbeitnehmer bleiben weiterhin bestehen und werden
lediglich
verschoben.
Der letzte Satz ist cum grano salis zu verstehen, siehe hierzu den
nächsten Punkt.
2.
Valide Vorschläge im Sinne eines Vorschlagswesens müssen einerseits
über den vereinbarten Zuständigkeitsbereich des Mitarbeiters hinaus
gehen, andererseits muss er diesen Bereich noch hinreichend einschätzen
können. Insbesondere darf nicht der Eindruck aufkommen, dass andere
Leute ihre Arbeit angeblich nicht richtig machen.
Damit schliesst man aber gerade die potentiell grössten
Einsparungen aus, denn naturgemäss liegt das grösste
Verbesserungspotential dort, wo sich Zuständigkeiten überschneiden,
oder wo alle Betroffenen nur einen Teil überblicken.
Nur am Rande sei erwähnt, dass die wirklich guten Vorschläge oft die
Geschäftsleitung selbst betreffen und deshalb erst gar nicht geäussert
werden.
3.
Es muss
eine grössere Gruppe von Mitarbeitern geben, denen das
Unternehmen eine aktive Teilnahme an der Prozessgestaltung nicht
zugestanden, oder zumindest nicht gefördert hat. Diesen Mitarbeitern
wird nun eine Befugnis zuteil, deren Umgang sie womöglich erst lernen
müssen. Hier muss zumindest am Anfang immer wieder geworben werden.
Ausserdem wird die Befugnis der betroffenen Mitarbeiter nur geringfügig
erweitert. Sie bleibt nach wie vor relativ begrenzt. Durch die
Institutionalisierung bleibt der Beigeschmack, dass es "da oben" Leute
gibt, die es besser wissen. Der Arbeitgeber hat lediglich die Leine
etwas gelockert.
Genauso wird es fortan einen Teil Mitarbeiter geben, die am
Vorschlagswesen nicht teilnehmen dürfen, da das Einbringen von
Vorschlägen ihrem Berufsbild zugeordnet wird. Bei Angestellten ohne
Personalverantwortung kommt das gar nicht gut an.
4.
Bei Verbesserungsvorschlagswesen müssen rechtliche Aspekte beachtet
werden, d.h., das Unternehmen muss diesen Prozess genau planen, um sich
keine Gerichtsverfahren einzuhandeln. Ausserdem bedarf es einer
Betriebsvereinbarung.
5.
Bei kleinen Unternehmen ist ein institutionalisiertes Vorschlagswesen
in der Regel nicht sinnvoll. Die Argumentation ist hier ähnlich wie die
bezüglich eines Qualitätsmanagementbeauftragten
in kleinen Unternehmen:
Bei einer überschaubaren Anzahl Mitarbeiter (20 bis 30) reichen
informelle Kommunikationswege, die von der Geschäftsleitung gefördert
und gepflegt werden, aus. Eine Kaffemaschine mit kostenlosem Kaffe für
alle kann hier Wunder wirken.
Was sollte man stattdessen tun
Man muss seine Prozesse und Kommunikationswege so aufbauen, dass sich
ein adäquater Umgang mit Verbesserungsvorschlägen quasi von selbst
ergibt.
In
einfacheren Fällen stehen die betroffenen Mitarbeiter in der
Kaffeeecke und diskutieren das Thema, in mittleren Fällen bringen
Gruppen von Mitarbeitern (wohl gemerkt: keine Einzelkämpfer) ihre
Vorschläge im Rahmen von regelmässigen Besprechungen ein, und in
komplexeren Fällen ergibt
sich eine organisierte Besprechung, die ggfs "nach oben" eskaliert
wird, allein deshalb, weil allen Betroffenen, insbesondere der Leitung,
daran liegt.
Diese Methodik funktioniert genau da am besten, wo die grössten
Verbesserungspotentiale zu erwarten sind, nämlich an den
Schnittstellen.
Es ist sogar denkbar, von ISO 9001 geforderte interne Audits in
kleinere Verbesserungsprojekte umzuwidmen.
Durch diese Ansätze erfahren die Mitarbeiter genau die Art von
Wertschätzung, die ihnen am meisten bedeutet, nämlich die Tatsache, als
wertvolle Ressource angesehen zu werden.
Die Praxis zeigt wohl auch, dass sich nicht alle Mitarbeiter in einem
prozessorientierten Umfeld wohl fühlen. Ob die Ursachen in den Personen
selbst liegen oder historischer betrieblicher Natur sind, sei
dahingestellt; entscheidend ist, dass das gesamte
Führungspersonal und ein grosser Teil der Mitarbeiter in Prozessen
denkt und ein Mindestmass an Kommunikationsfähigkeit besitzt.
Ein Indiz für ein derartiges Umfeld ist, wenn Mitarbeiter
unterschiedlicher Abteilungen gemeinsam etwas umsetzen und den
Vorgesetzten bewusst ist, dass sie diese Freiheit haben.
Das in den letzten beiden Absätzen beschriebene Umfeld ist auch unter
dem Begriff Matrixorganisation bekannt.
Dorthin zu kommen erfordert im wesentlichen ein
Prozessdenken bei einem grossen Teil der Mitarbeiter; ein
Schlüsselelement, das die ISO 9001 seit 2000 ohnehin verlangt.
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