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Klinische Forschung

Klinische Studien und Experimente, Planung und Durchführung.

Ethikkommission, Fallzahlplanung, Randomisierung, Blocking und Verblindung.

 

In diesem Kapitel behandelte Themen Weiterführende Themen
Klinische Forschung, Einleitung Prävalenz
Abgrenzung Studie - Experiment Allgemeinarzt versus Facharzt
Ethikkommission Intention to treat versus On treatment
Versuchsmethodik und Fallzahlplanung Solomon Plan
Randomisierung Kohortenstudie
Verblindung Konfirmatorische Studie
Multizentrische Studie

Längsschnittliche Untersuchung

Metastudie Querschnittliche Untersuchung
Statistische Signifikanz versus klinischer Relevanz Evidenzbasierte Medizin, EBM
  Diagnostische Tests: Medizinisch bedeutsame Kennwerte
  Stage Migration
  Odds_Ratio
  Relatives_Risiko
  Misserfolgsreduktion

 

Klinische Forschung, Einleitung

 

Unter klinischer Forschung versteht man die wissenschaftliche Behandlung der Gesundheit des Menschen.

 

Konkret: Beschäftigt sich mit der Identifizierung von Krankheiten, der Entwicklung, Herstellung und Erprobung von Medikamenten. 

Statistische Methoden kommen vor allem bei der Identifizierung von Krankheiten und der Erprobung von Medikamenten zum Einsatz. 

 

Identifizierung von Krankheiten: 

Dies geht immer mehr in Richtung genetischer Forschung: 

Welche Gene werden unter welchen Bedingungen wie stark aktiv? 

Welche Proteine werden unter welchen Randbedingungen gebaut? 

Hier hat man es in der Regel mit sehr umfangreichem, mehrdimensionalem Datenmaterial zu tun, das zur Generierung von Hypothesen herangezogen wird. 

Die Bestätigung oder Widerlegung der gestellten Hypothesen anhand weiterer Daten führt zu gesichertem Wissen. 

 

Erprobung von Medikamenten: 

Die Wirksamkeit von Medikamenten muss anhand von Versuchspersonen sichergestellt werden. 

Da hier natürlicherweise die gewünschte Wirkung im Vorhinein schon feststeht, kommen hier ausschliesslich hypothesen-testende statistische Verfahren zum Einsatz. 

Die Stichproben sind meistens klein bis mittelgross, es gibt meistens nur eine oder höchstens sehr wenige abhängige Variablen. Die geltenden Skalenniveaus sind sehr oft ordinal, weshalb nonparametrische Methoden hier sehr verbreitet sind. 

 

Im Folgenden soll nur derjenige Teil der klinischen Forschung behandelt werden, der mit Statistik im Zusammenhang steht.

 

 

Abgrenzung Studie - Experiment

 

Wesentliche Teile heutiger klinischer Forschungsergebnisse beruhen auf statistischen Korrelationen, also auf rein statistischen Methoden.

Der Grund dafür liegt darin, dass die eventuell dahinter stehenden klinischen Zusammenhänge wenig bis garnicht bekannt sind, was schlichtweg an der organischen Komplexität des Menschen, allgemein von Lebewesen liegt. Es ist sogar so, dass sich einzelne Menschen auf Stoffwechselebene ziemlich unterscheiden können, was sich z.B. darin äussern kann, dass manche Patienten gut, andere wiederum gar nicht auf gewisse Behandlungsmethoden ansprechen.

 

Wenn statistische Methoden den hauptsächlichen Rahmen eines klinischen Forschungsprojektes bilden, spricht man umgangssprachlich (und auch in der Fachwelt salopp) von einer klinischen Studie.

Dabei ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen

 

- Eigentlichen Studien, retrospektiv:

Betrachtung eines in der Vergangenheit durchgeführten und bereits abgeschlossenen Experiments. Hauptproblem hier ist, dass das Experiment in der Regel nicht für die jetzt interessierenden Fragen ausgelegt war, und damit die wissenschaftliche Aussagekraft geringer ist.  

 

- Experimenten, prospektiv:

Planung im Voraus nach bestimmten Kriterien. Optimierung des Ablaufes /Aufbaus auf die zu erforschenden Gesichtspunkte / Fragestellungen.

Die wissenschaftliche Aussagekraft ist deutlich höher, da genau das optimal messbar wird, wonach man konkret fragt.

 

Da in der klinischen Praxis kaum jemand von Experimenten spricht, soll auch im Folgenden immer von Studien die Rede sein.

 

Experimente werden in der Praxis Prospektive Studien genannt und sind vielfach aufwendiger als Retrospektive Studien, da sie eine erhebliche Beteiligung von Krankenhauspersonal sowie eine in der Regel aufwendige Auswahl geeigneter Patienten voraussetzen.

Retrospektive Studien dagegen bestehen im Wesentlichen aus wenigen Wissenschaftlern, die hauptsächlich am Computer arbeiten.

 

Nachfolgend werden ein paar charakteristische Eigenschaften klinischer Studien skizziert.

 

Ethikkommission

 

Bevor man eine Studie plant, müssen ethische Fragen geklärt werden. Die möglichen Ergebnisse müssen aus Sicht des gegenwärtigen Wissensstandes einerseits objektiv unsicher sein, andererseits muss die Studie ein Mindestmass an Erkenntnis versprechen.

Es ist abzuwägen zwischen den Risiken der gegenwärtigen Patienten, an denen die Studie durchgeführt werden soll, und etwaigen zukünftigen Patienten, die aus den Studienergebnissen in jedem Fall profitieren werden. Beide Interessen sind in der Regel gegensätzlich, da höhere Risiken (schlecht für die Gegenwart) in der Regel mit grösseren Erkenntnissen (gut für die Zukunft) einhergehen.

Mit diesen Fragestellungen befassen sich Ethikkommissionen, die wiederum aus Ärzten und anderem klinischem Fachpersonal bestehen. 

Bezüglich Ethikfragen im Rahmnen von Studien existieren gesetzliche Regelungen.

 

Bereits in diesem Stadium wird festgelegt, ob man die Studie offen, einfach verblindet oder doppelt verblindet durchführt.

 

 

Auswahl der Versuchsmethodik und Fallzahlplanung

 

Je nach Fragestellung und nachzuweisenden Unterschiedsgrössen ergibt sich der notwendige Versuchsablauf / Versuchsaufbau, vor allem aber auch Mindestanzahlen an teilnehmenden Patienten.

Die Ermittlung dieser Anzahlen hängt wesentlich ab von der Grösse der nachzuweisenden Effekte und den zur Anwendung kommenden statistischen Methoden.

Es kann nicht immer davon ausgegangen werden, dass überhaupt ausreichend viele Patienten aufgetrieben werden können.

Das Spektrum reicht hier von überschauberen Fall-Kontrollstudien mit zu wenigen Teilnehmern bis hin zu multizentrischen Studien mit Zigtausenden von Teilnehmern.

Beispielhaft seien hier zwei einfache konkrete Fälle durchgerechnet, die aufzeigen wie spezifisch es hier zugeht. In der klinischen Praxis wird man auf spezielle Statistiksoftware zurückgreifen, die für diese Zwecke allerdings validiert sein muss.

- Design eines zweiseitigen Stichprobentests (Poissonverteilung)

- "Männer sind im Mittel 6 cm grösser als Frauen" (Normalverteilung)

 

Randomisierung

 

Nun müssen die teilnehmenden Patienten möglichst gleichförmig auf die unterschiedlichen Gruppen aufgeteilt werden.

Dazu müssen zuerst alle Merkmale ermittelt werden, die nach gegenwärtigem Kenntnisstand das Studienergebnis in unerwünschter / nicht vorhersehbarer Weise beeinträchtigen könnten.

Beispiele:

Raucher / Nichtraucher, Frauen / Männer, jüngere / ältere Patienten, Patienten mit / ohne diversen Vorgeschichten, weniger / stärker erkrankte Patienten, usw.

Ziel ist es, dass alle Gruppen aus einem möglichst gleichmässigen Mix aus denjenigen Merkmalen bestehen, die die Studie zwar beeinflussen können, die jedoch nicht Gegenstand der Studie sind.

Für Merkmale, die im Rahmen der Studie untersucht werden sollen, müssen so genannte Blöcke gebildet werden, was den Studienaufwand erheblich vergrössert (--> Blockbildung).

Beispielsweise würde man Raucher und Nichtraucher in unterschiedliche Blöcken trennen, wenn man den Einfluss des Rauchens auf das Studienergebnis ermitteln wollte.

Blockbildung ist also das Gegenteil von Randomisierung.

 

Verblindung

 

Unabhängig von der Wahl der statistischen Methoden bestehen grundsätzliche Unterschiede in der Qualität der zu gewinnenden Erkenntnisse darin, ob Arzt und / oder Patient über die angewendete Behandlungsart Bescheid wissen oder nicht.

Zweck der Verblindung ist es, den Placeboeffekt auszuschalten, da dieser häufig so gross ist, dass allein er zu signifikanten Ergebnissen führen kann. 

 

Verblindungsgrad 

Beschreibung Qualität der
Ergebnisse
Einschränkungen

Offene_Studie

Keine Geheimnisse.
Behandelnde Ärzte und Patienten wissen über die Zuordnung der Patienten zu den Behandlungsgruppen Bescheid
schlechter Keine.
Kann in allen Fällen angewendet werden.
Blindstudie Nur die behandelnden Ärzte wissen über die Zuordnung der Patienten zu den Behandlungsgruppen Bescheid besser Gering.
Kann immer angewendet werden, wenn der Arzt in der Lage ist, die Behandlungsmethode vor dem Patienten zu verschleiern.
Doppelblindstudie Nur ein aussenstehender Arzt weiss über die Zuordnung der Patienten zu den Behandlungsgruppen Bescheid. Er muss jederzeit erreichbar sein, damit im Notfall die Gruppenzugehörigkeit eines Patienten offengelegt werden kann.
bestens Gross.
Wenn sogar der Arzt über die Gruppenzuordnung im Unklaren bleiben soll, kommen nur wenige Behandlungsmethoden überhaupt in Frage

 

 

Multizentrische Studie

 

Wenn die benötigten Anzahlen an Patienten zu gross sind, oder der zu erwartende Aufwand pro Patient zu gross wird, oder wenn sehr viele Aspekte gleichzeitig untersucht werden sollen, dann verteilt man die Last der Studie auf mehrere Kliniken.

Grundsätzlich nachteilig ist hier, dass die Randbedingungen an unterschiedlichen Standorten in aller Regel unterschiedlich und oft nicht bekannt sind.

Beispielsweise lässt sich eine vollständige Randomisierung über mehrere Kliniken hinweg kaum realisieren, da infolge der unterschiedlichen fachlichen Ausrichtungen der Kliniken, unterschiedlicher Reputation  / Bekanntheitsgrad auch der Patientenpool unterschiedlich ist.

 

Metastudie

 

Hierbei handelt es sich um eine retrospektive Gesamtstudie, die unterschiedliche retrospektive Einzelstudien zusammenfasst.

Die betroffenen seinerzeit prospektiven Studien hatten in der Regel keine Verbindung zueinander und wurden meistens zu ganz unterschiedlichen Zeiten durchgeführt. Typischerweise liegen zwischen den einzelnen Studien Jahre bis Jahrzehnte.

 

Während Metastudien sich dafür eignen, grundlegende Zusammenhänge aufzudecken, also statistisch signifikante Ergebnisse herbeizuführen, obwohl die einzelnen Studien diesbezüglich seinerzeit nicht signifikant gewesen sind (quasi eine Art Omnibustest), ist die generelle Qualität der Ergebnisse eher gering und sollte allenfalls zur Formulierung von Hypothesen verwendet werden, nicht jedoch zur Überprüfung von Hypothesen.

 

Statistische Signifikanz versus klinischer Relevanz

  

Die prospektiv (vor Beginn der Studie) formulierten Fragestellungen beinhalten naturgemäss nur klinisch relevante Sachverhalte.

Dennoch kann es vorkommen (insbesondere dann, wenn die Ergebnisse nicht so deutlich wie erwartet ausgefallen sind), dass im nachhinein zusätzliche Zusammenhänge entdeckt werden, die das Datenmaterial nebenbei so hergibt.

Bei grossen Studien ist es wahrscheinlich, dass statistisch signifikante Zusammenhänge entdeckt werden, die in Wahrheit kaum klinisch relevant sind ("Bei den 36 bis 38 jährigen Frauen ist das Ergebnis signifikant").

 

Andererseits können bei sehr kleinen Studienumfängen statistisch nicht signifikante Phänomene durchaus klinisch relevant sein.

Gefordert sind in der Regel mindestens 90% Signifikanzniveau; wenn z.B. bei 6 von insgesamt 10 Patienten die Methode anschlägt, dann ist das wohl relevant und daher wert, weiter untersucht zu werden. Signifikant ist es jedoch nicht (Excel: BINOMVERT(6 ; 10 ; 0,5 ; wahr) = 83%.

Wären es dagegen 60 von insgesamt 100 Patienten, dann wäre es fast hochsignifikant (Excel: BINOMVERT(60 ; 100 ; 0,5 ; wahr) = 98%.

 

30.03.2015

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